Ariane Stäubli erinnert sich noch gut an die Kinderkletterlager im Sustenmassiv, die in ihr die Faszination für die Bergwelt weckten. Als Kind dachte sie, diese mächtigen Gletscher und Berge seien unzerstörbar. Zu sehen, wie sehr sich der Steingletscher nun in nur 15 Jahren zurückgezogen hat, schockiert die Bergführerin.

Wie dramatisch die Auswirkungen des Klimawandels in der Schweiz sind, zeigen die Gletscher deutlich: Das Eisvolumen ist in der Schweiz von 1980 bis 2020 um 45 Prozent zurückgegangen. Und dieser Rückgang beschleunigt sich zunehmend. Verglichen mit dem Eisvolumen im Jahr 2010, haben wir bis heute bereits 19 Prozent der Eismasse verloren. Es ist absehbar, dass bis Ende dieses Jahrhunderts im Alpenraum nur noch spärliche Gletscherreste übrig bleiben werden. «Viele denken, die Erderwärmung sei für die Schweiz kein grosses Problem, doch sie irren sich gewaltig. Die Veränderungen geschehen direkt vor unserer Haustüre», erläutert Ariane Stäubli. Die Bergführerin sieht die drastischen Konsequenzen jeden Tag, wenn sie Gäste durch die Schweizer Berge führt. Dies ist Grund, weshalb sie sich als Botschafterin für die Klimaschutzorganisation Protect Our Winters (POW) engagiert.

Ariane Stäubli erzählt, wie sie früher direkt vom Steinsee zur Tierberglihütte hochlaufen konnten, alles auf dem Gletscher. Wo früher einst das Eis war, bleibt heute nur noch eine Schutt- und Steinwüste zurück. Die Hänge sind stark erodiert, wegen der Fels- und Eissturzgefahr ist die ursprüngliche Ski- und Hochtourenroute nicht mehr begehbar. «Es tut weh zu sehen, was mit der Bergwelt passiert», sagt die studierte Umweltingenieurin. Auch Bergsteigen und Wandern werde zunehmend anspruchsvoller, die Hütten- und Gipfelanstiege seien immer schwieriger begehbar. Dies unterstreicht auch ein von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) publizierter Bericht zur Sicherheit beim Wandern, der aufzeigt, dass klimabedingt häufiger auftretende Wetterereignisse wie Starkniederschläge bereits heute spürbare Auswirkungen auf die Wanderwege haben. 

Die Klimaerwärmung sei aber nicht nur beim Bergsteigen feststellbar, sagt Ariane Stäubli: «Es gibt immer mehr Bergseen, die sich bilden und unkontrolliert ausfliessen. Oder auch Steinschlag, der bis in die Siedlungsgebiete vordringt». Zusätzlich seien Bergdörfer und Strassen zunehmend von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Durch die wärmeren Temperaturen taut der Permafrost tiefreichender auf, was zu einer stärkeren Erodierung führt. Das löst vermehrt Erdrutsche oder in Kombination mit heftigen Unwettern Schlammlawinen aus und begünstigt den Steinschlag. Um Dörfer zu schützen, werden vielerorts Schutzwälle errichtet und Steinschlagnetze montiert, was hohe Kosten verursacht und nur zum Teil einen genügenden Schutz bietet. 

Ariane Stäubli ist Bergführerin und Umweltingenieurin. Sie führt Gäste durch die Schweizer Bergwelt und sieht die dramatischen Konsequenzen der Erderwärmung täglich. (© Klima-Allianz Schweiz)

Konsequenter Klimaschutz ist nötig

Wie der Klimabericht 2020 des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zeigt, ist die Schweiz besonders stark vom Temperaturanstieg betroffen. Das hängt unter anderem mit der kontinentalen Lage und dem Rückgang der alpinen Schneebedeckung zusammen. Liegt weniger Schnee, nimmt die Erdoberfläche mehr Sonnenenergie auf. Für die Schweiz werden trockenere Sommer, heftigere Niederschläge, mehr Hitzetage und schneeärmere Winter erwartet.

Der Klimawandel lässt sich selbst mit rigorosen Klimaschutzmassnahmen nicht mehr aufhalten, sondern nur noch begrenzen. Zu diesem Schluss kommen die neusten nationalen Klimaszenarien im Klimabericht des BAFU. Gelingt es, die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten massiv zu reduzieren, wird sich die Schweiz bis Ende des Jahrhunderts um 2,1–3,4 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmen. Nimmt der Treibhausgas-Ausstoss hingegen weiterhin zu, könnte die Durchschnittstemperatur in der Schweiz im gleichen Zeitraum um 4,8–6,9 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter ansteigen. Mit konsequentem Klimaschutz liessen sich hingegen bis 2060 etwa die Hälfte, bis im Jahr 2100 zwei Drittel der möglichen Auswirkungen auf das Klima der Schweiz vermeiden, fasst der Bericht zusammen. 

«Es ist heute unter Fachleuten unbestritten, dass die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen für den Klimawandel hauptverantwortlich sind», sagt Ariane Stäubli. Sie sieht die Verantwortung für einen Richtungswechsel bei jeder und jedem Einzelnen, etwa betreffend Mobilität- und Konsumverhalten. Und bei der Politik, die jede und jeder von uns mitgestalten kann. «Wenn ich als Bergführerin merke, dass ich auf einen Abgrund zulaufe, gehe ich ja auch nicht einfach weiter, sondern justiere meinen Kompass neu und ändere die Richtung».

Greenpeace sagt Ja zum neuen CO2-Gesetz, über das die Schweiz am 13. Juni abstimmt. Hier geht es zu den Gründen.


Buchtipp: «KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt» – das ist nicht nur ein Fakt, sondern der Untertitel des neuen Gedichtbandes von Kuno Roth, dem dienstältesten Greenpeace-Schweiz-Mitarbeiter. Die Neuerscheinung ist Kuno Roths sechster Lyrikband, in der er poetisch unsere fragile Welt umkreist und so einen anderen Zugang zu einer globalen Problemzone ermöglicht. Seine nachdenklich stimmenden, teilweise auch angriffigen Gedichte und Aphorismen machen deutlich, dass auch die Literatur sich in die Umwelt-Debatte einmischen kann. Nicht verurteilen ist Roths Ziel, sondern eine Einladung zur Reflexion, gerne auch mit pointiertem Schalk. Die Texte pendeln zwischen Einkehr und subtiler Fokussierung auf das Wesentliche, das uns im Alltag nur allzu oft abhandenzukommen scheint. Roth schafft es, selbst komplexe Sachverhalte mit seinen Texten auf den Punkt zu bringen. Hier kann der Gedichtband bestellt werden.